Stadtrat Lu

Kommunale Handelshemmnisse

Wie hinlänglich bekannt sein sollte, ist die Piratenpartei gegen die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, auch bekannt als Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP). Und zwar schon allein wegen der Geheimniskrämerei und weil die meisten Menschen nun mal nicht stolzer Besitzer von Kontrollrechten an international agierenden Konzernen sind.

Jetzt ist es ja ein alter Grundsatz von halbwegs intelligenten Menschen, dass man global denken und lokal handeln soll – was bleibt einem auch übrig?

Bei der letzten Stadtratssitzung, der Sondersitzung zur Stadtstraße, gab es von uns eine Anfrage zu den möglichen Auswirkungen des o.g. Abkommens auf die kommunale Ebene, sprich auf good old Ludwigshafen. Andere Städte hatten schon ähnliches versucht – schon allein, um vor Ort für das Thema zu sensibilisieren – und das wollte ich auch in unserer Stadt angehen.

Hier die Anfrage:

„Anfrage zur Stadtratssitzung am 9.2.2015
Sachstand EU Verträge TiSA/TTIP
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Dr. Lohse,
wir bitten Sie um Beantwortung folgender Fragen:
Auf EU Ebene werden zur Zeit zwei Verträge verhandelt, die auch die Ausschreibung für kommunal verantwortete Dienstleistungen stark verändern können:
• Plurilateral Trade in Services Agreement, TiSA
• Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP
1. In wie weit hat sich die Stadtverwaltung mit den möglichen kommunalen Auswirkungen dieser Verträge befasst?
2. Findet eine Prüfung der Auswirkungen auch bei den städtischen Tochtergesellschaften bzw. verbundenen Unternehmen statt?
3. Wie ist die Einschätzung der Verwaltung bezüglich vorhersehbarer Auswirkungen auf die Qualität, Sicherheit und Nachhaltigkeit der kommunalen Dienste?
4. Gibt es Maßnahmenvorschläge, um Einfluss auf Vertragsverhandlungen zu nehmen oder die Bewertung auf Landes- und Bundesebene?
5. Plant die Verwaltung Informationsangebote für Bürger, um über die möglichen Auswirkungen von TTIP und speziell TiSA aufzuklären?

Mit freundlichen Grüßen“

Hier die Antwort:

„Die Stadt Ludwigshafen sieht Ihre Interessen hinsichtlich der Freihandelsabkommen sowohl durch den deutschen Städtetag, als auch durch die anderen kommunalen Spitzenverbände sowie den Verband kommunaler Unternehmen (VKU) qualifiziert und gut vertreten. Eine über die allgemeine Beobachtung der Thematik hinausgehende stadtinterne Befassung wird deshalb derzeit als nicht notwendig erachtet.
Zur Information erhalten Sie als Anlage das derzeit noch aktuelle gemeinsame Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen der kommunalen Spitzenverbände und des VKUs sowie die Pressemitteilung aus Oktober 2014 hierzu.“

Anlagen:
1. Gemeinsames Positionspapier zu internationalen Handelsabkommen und kommunalen Dienstleistungen vom Oktober 2014
2. Pressemitteilung zum gemeinsamen Positionspapier von kommunalen Spitzenverbänden und VKU vom 01.10.2014

Beide Texte gehen in eine ähnliche Richtung. Der ausführlichere, das Positionspapier, sei hier in Gänze zitiert:

„Die kommunalen Spitzenverbände und der Verband kommunaler Unternehmen begleiten konstruktiv die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) und weitere Freihandelsabkommen. Sie unterstützen das mit den Abkommen verfolgte Ziel, durch den Abbau von Handelshemmnissen und die Verbesserung der Investitionsbedingungen die Schaffung von Arbeitsplätzen zu befördern. Freihandelslabkommen bergen jedoch auch erhebliche Risiken für Dienstleistungen der Daseinsvorsorge, die durch die Kommunen und ihre Unternehmen verantwortet und erbracht werden. Beeinträchtigungen dieser, für die Bürgerinnen und Bürger wichtigen Dienstleistungen durch Freihandelsabkommen müssen ausgeschlossen werden. Städte, Gemeinden, Landkreise und kommunale Unternehmen fordern die auf europäischer und nationaler Ebene für die Verhandlungsführung und die letztendliche Zustimmung zu Freihandelsabkommen politisch Verantwortlichen deshalb auf, die folgenden Punkte zu gewährleisten:
1. Kommunale Organisationsfreiheit bei der Daseinsvorsorge – Ausnahme von Marktzugangsverpflichtungen gewährleisten!
Kommunale Selbstverwaltung heißt auch Organisationsfreiheit der Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge. Die Kommunen verantworten die Leistungen der Daseinsvorsorge für Ihre Bürgerinnen und Bürger. In ihrem Interesse wird vor Ort die jeweils beste Organisationsform gewählt. Das europäische Recht akzeptiert grundsätzlich den weiten Handlungsspielraum der Kommunen bei der Organisation der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Marktzugangsverpflichtungen im Rahmen von Freihandelsabkommen, wie sie beispielsweise im TTIP vorgesehen werden sollen, sind jedoch geeignet, diese kommunale Organisationsfreiheit auszuhöhlen: Sollten typische kommunale Dienstleistungen wie die Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung, der Öffentliche Personennahverkehr, Sozialdienstleistungen, Krankenhäuser oder die Kultur Regeln zur Liberalisierung unterworfen werden, würde die derzeit garantierte umfassende Organisationsentscheidung von Kommunalvertretern durch rein am Wettbewerbsgedanken ausgerichtete einheitliche Verfahren ersetzt.

Auch bei bisher politisch bewusst nicht liberalisierten Bereichen der Daseinsvorsorge könnte die in Deutschland vielfach übliche Eigenerbringung durch kommunale Unternehmen und Einrichtungen oder auch die Regelung eines notwendigen Anschluss- und Benutzungserfordernisses unmöglich gemacht werden.
Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass die kommunale Daseinsvorsorge von den Marktzugangsverpflichtungen im TTIP und allen weiteren Freihandelsabkommen ausgenommen wird. Der beste Weg dazu ist der sogenannte Positivlisten-Ansatz. Danach würden Dienstleistungen der kommunalen Daseinsvorsorge nur dann von Liberalisierungsvorschriften eines Han-delsabkommens betroffen sein, wenn die entsprechenden Dienstleistungen bzw. Sektoren explizit in dem Abkommen genannt würden. Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass insbesondere die nicht-liberalisierten Bereiche der Daseinsvorsorge in einer Positivliste nicht er-wähnt werden dürfen.
Sollte für das Prinzip des Marktzugangs im TTIP jedoch der Negativlistenansatz gewählt werden, wie bereits im Rahmen des zwischen der EU und Kanada ausgehandelten Abkommens CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) geschehen, ist dort und in allen so verfahrenden Abkom-men sicherzustellen, dass die nicht-liberalisierten Bereiche der Daseinsvorsorge ausdrücklich von der Anwendung dieses Prinzips ausgenommen werden. In diesem Fall muss auch die Anwendung von Stillstands- und Ratchetklauseln, mit denen bestehende Liberalisierungsniveaus nicht mehr verändert werden könnten und das jeweils höchste Liberalisierungsniveau zum Standard erklärt wird, zwingend ausgeschlossen werden. Dazu wäre nach gegenwärtigem Stand des TTIP die Aufnahme der nicht-liberalisierten Bereiche der Daseinsvorsorge in den Annex II zum Dienstleistungskapitel notwendig.
2. Öffentliches Beschaffungswesen und Wettbewerbsrecht – Nicht über das europäische Vergabe- und Konzessionspaket hinausgehen!
Die im vergangenen Jahr abgeschlossene Reform des europäischen Vergaberechts berücksichtigt an vielen Stellen die kommunale Organisationsfreiheit im Bereich der Daseinsvorsorge. Der darin zum Ausdruck gekommene politische Wille muss auch Leitschnur für die Verhandlungen von Handelsabkommen sein. Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU fordern daher, dass Regelungen zum öffentlichen Beschaffungswesen und Wettbewerbsrecht in Handelsabkommen mit Auswirkungen auf die kommunale Organisationsfreiheit nicht hinter dem reformierten europäischen Vergaberecht zurückbleiben dürfen. Daher fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass die Erleichterungen für Inhouse-Vergaben und die interkommunale Zusammenarbeit sowie die Bereichsausnahmen für Rettungsdienste und die Wasserwirtschaft nicht durch die Hintertür eines Freihandelsabkommens auch nur ansatzweise in Frage gestellt werden dürfen.
3. Investorenschutz – Zuständigkeit der nationalen Gerichtsbarkeit auch für Investoren aus Drittstaaten!
Regeln zum Investitionsschutz sind in Abkommen unter Staaten mit ausgeprägter rechtsstaatlicher Tradition und ausreichendem Rechtsschutz vor nationalen Gerichten nicht notwendig. Jedenfalls darf durch solche speziellen Regelungen Investoren nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, ihnen unliebsame, aber demokratisch legitimierte und rechtsstaatlich zustande gekommene politische und administrative Maßnahmen (z.B. Regulierung von Fracking zum Schutz der Trinkwasserressourcen) vor internationalen Schiedsgerichten anzugreifen. Zwar können solche Schiedsgerichte lediglich Schadensersatz verhängen und keine Rücknahme von Maßnahme anordnen, doch alleine die Möglichkeit einer ausufernden Schadensersatzforderung soll und kann Entscheidungen der öffentlichen Hand bereits im Vorfeld beeinflussen. Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU fordern, im TTIP und den übrigen derzeit in der Verhandlung befindlichen Abkommen auf spezielle Investitionsschutzregelungen zu verzichten.
4. Umwelt- und Verbraucherschutz – Keine Verpflichtung zum Abbau von Schutzstandards!
Unterschiedliche Standards und Regulierungsansätze in der Umwelt- oder Verbraucherschutzpolitik können als nicht-tarifäre Handelshemmnisse angesehen werden. Ziel dieser Maßnahmen ist in aller Regel jedoch kein Protektionismus, sondern die Umsetzung eines gesellschaftlichen Konsenses über Verbraucher- oder umweltpolitische Fragen. Umfasst sind z.B. die Zulassung bestimmter Pflanzenschutzmittel oder auch die Erzeugungsprozesse von Lebensmitteln. Die Anstrengungen zum Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse und zur Schaffung regulatorischer Kohärenz dürfen daher nicht da-zu führen, dass der Handlungsspielraum der EU oder der Mitgliedstaaten, z.B. in ihrer Umweltpolitik bestimmte als notwendig erachtete erhöhte Standards oder von Vertragspartnern abweichende Regulierungsansätze beizubehalten oder neu einzuführen, eingeschränkt wird. Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU fordern daher, dass bei unterschiedlichen Schutzniveaus die in der EU einheitlich oder national geltenden Standards auf keinen Fall mit einem vorrangigen Ziel des Abbaus von Handelshemmnissen reduziert werden dürfen; dies gilt insbesondere für den Umwelt- und Verbraucherschutz.

 

5. Transparenz – Einbindung kommunaler Vertreter in Beratergruppen!
Die Verhandlungsführung über so komplexe Fragestellungen, wie sie mit einem Freihandelsabkommen verbunden sind, erfordert Vertraulichkeit. Gleichwohl besteht aufgrund der umfassenden Auswirkungen eines solchen Abkommens schon bei diesen Verhandlungen auch ein berechtigtes Interesse an Transparenz; die kommunalen Spitzenverbände und der VKU teilen dieses Interesse. Ein guter Weg, beiden Interessen Genüge zu tun, ist u.a. die frühzeitige Einbindung relevanter Gruppen.
Das Abkommen sollte nicht nur der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Rates bedürfen, sondern auch der Zustimmung der Parlamente der 28 EU-Mitgliedsstaaten. In Deutschland sollten nicht nur der Bundestag und der Bundesrat dem Freihandelsabkommen zustimmen müssen, sondern es sollten auch die Kommunen an der Entscheidungsfindung beteiligt und über den jeweiligen Verhandlungsstand informiert werden, damit die Interessen aller staatlichen Ebenen gewahrt bleiben.
Die kommunalen Spitzenverbände und der VKU begrüßen daher ausdrücklich die Einberufung eines Beirates beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für TTIP unter Beteiligung der Kommunen. Sie fordern darüber hinaus eine Beteiligung der kommunalen Ebene und der öffentlichen Dienstleistungen in die bei der EU-Kommission bestehenden Beratergruppen.
6. TiSA – Kein Alleingang, der über die GATS und WTO hinausgeht!
Derzeit wird zudem von den USA, der EU und 20 weiteren Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) das „Trade in Services Agreement“ (TiSA) verhandelt. Ziel dieser Verhandlungen ist der Abbau von Handelshemmnissen im öffentlichen Dienstleistungssektor, um neue Marktchancen zu eröffnen. Diese Verhandlungen werden sehr vertraulich geführt. Auch für dieses Abkommen fordern die kommunalen Spitzenverbände und der VKU, dass die öffentliche Daseinsvorsorge und damit der öffentliche Dienstleistungssektor nicht betroffen sein dürfen. Die entsprechenden Standards dürfen nicht über das Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services – GATS) hinausgehen.

Der öffentliche Dienstleistungssektor und die demokratisch legitimierte Verantwortung vor Ort dürfen keinesfalls im Zuge von partiellen wirtschaftlichen Interessen zum Nachteil der Daseinsvorsorge in Deutschland beeinträchtigt werden. Die Organisationsfreiheit der Kommunen als einer der Kernbereiche des kommunalen Selbstverwaltungsrechts muss sichergestellt und Rekommunalisierungen nach den Gegebenheiten vor Ort und auf Basis des lokalen Wählerwillens uneingeschränkt möglich bleiben. Wir fordern für das TiSA-Abkommen ebenfalls eine breitere Einbindung der betroffenen Öffentlichkeit, die Verfolgung eines Positivlistenansatzes sowie die Wahrung des geltenden Vergaberechts.“

 

Was lernen wir nun?:

Wer wissen will, was auf kommunaler Ebene für oder gegen die anstehenden Handelsabkommen getan wird, muss also die o.g. Spitzenverbände im Blick behalten. Wenn überhaupt, dann wird sich der Ludwigshafener Stadtvorstand den dortigen Bemühungen und Verlautbarungen anschließen. A propos „getan“: Getan wurde, so weit ich sehen kann, seit Oktober 2014 erst mal nichts. Beteiligung kommunaler Vertreter an den Verhandlungen? Nicht dass ich wüsste? Bleibt es bei Positionspapieren und Forderungen und Mahnungen oder organisiert sich darauf aufbauend handfester Protest, wenn die sog. Verhandlungen ihrem Ende entgegen gehen? Schau’n wir mal:

Deutscher Städtetag

Deutscher Landkreistag

Deutscher Städte- und Gemeindebund

VKU Verband kommunaler Unternehmen